Wer von aussen einen Blick auf die Kryptowelt wirft, stellt mitunter mit einer gewissen Ernüchterung fest: Von den Beweggründen, die für den Bitcoin-Entwickler Satoshi Nakamoto vor nunmehr fast 15 Jahren Auslöser der Bemühungen war, ist in vielen Punkten inzwischen nur noch wenig zu sehen. Die klaren Visionen und Ideen Nakamotos waren auf nichts weniger als eine Revolution des traditionellen Finanzsystems ausgerichtet. Die neue dezentrale Welt sollte das Ende der Dominanz einzelner grosser „Player“ einläuten. Zugleich sollten Bitcoin und Co. dafür sorgen, dass auch jene Menschen Zugang zum neuen System erhalten, die früher vor allem von globalen Banknetzwerken ausgeschlossen waren. In Teilen ist dies durchaus gelungen. Gerade in afrikanischen und asiatischen Ländern ohne flächendeckendes Bankensystem profitieren Millionen Nutzer von den Möglichkeiten der Blockchain. Statt eines klassischen Bankkontos reicht ein mobiles Endgerät, um Transaktionen günstig und schnell auszuführen.
Viele Entwicklungen der Kryptowelt widersprechen der Grundidee des Bitcoin
Andererseits aber lässt die Entwicklung der letzten Jahre einen deutlichen Trend erkennen, der viele überzeugte Krypto- und Blockchain-Fans eher unzufrieden zurücklässt. Wie in der Zeit vor der erhofften „Wende“ bestimmen in vielen Netzwerken und am Markt insgesamt inzwischen Grossinvestoren und ein relativ kleiner Kreis einflussreicher Teilnehmer zunehmend über die Geschicke der Branche. Oder anders formuliert: Vielerorts hat sich eine überschaubare Nutzerminderheit einen enormen Einfluss gesichert. Erkennbar wird dies zum Beispiel an Tesla-Chef Elon Musk. Twitterte Musk in der Vergangenheit zu Währungen wie dem Bitcoin oder Dogecoin, stiegen oder fielen die Kurse binnen kürzester Zeit. Natürlich stand schon früh fest, dass Kryptowährungen bis zur vollständigen Akzeptanz im sogenannten Mainstream volatile Vermögenswerte mit teilweise sehr deutlichen Kursschwankungen bleiben würde.
Dass ein einziger Grossanleger aber derart massiv seine Macht ausspielen kann, wird von Kritikern zu Recht als Gegensatz zur anfänglichen Krypto-Idee angeführt. Ein solcher Einfluss wie im herkömmlichen System aufseiten der Banken sollte schliesslich durch die Dezentralität der Kryptonetzwerke nicht mehr möglich sein.
Kryptowhale setzen sich auch im DeFi-Sektor immer stärker durch
Diese Entwicklung zeichnete sich seit längerem nicht nur bei Kryptowährungen der ersten Stunde ab. Die besagte „Macht der Wenigen“ entsteht zusehends auch im rasant wachsenden Bereich der dezentralen Finanzen (DeFi). Spätestens hier galt eigentlich der Grundsatz, dass Netzwerke für die gesamte Community statt für wenige kapitalstarke Anleger gedacht waren. Dabei weisen Experten berechtigterweise auf einen wichtigen Aspekt hin. Wo immer Teilnehmer mit grossen Vermögen in Erscheinung treten, ergibt sich fast zwangsläufig ein Umfeld, in dem eben jene Investoren die höchsten Gewinne realisieren und bei wichtigen Entscheidungen für Weiterentwicklungen ihre Vormachtstellung ausspielen können. Wie zutreffend diese Einschätzung selbst im Kontext etablierter Netzwerke ist, wird anhand von Daten der Plattform DaapRadar von Ende Oktober dieses Jahres für den Monat September deutlich.
Für die junge dezentrale Börse Curve gaben die Experten des Portals ein Durchschnittsvolumen von rund einer halben Million US-Dollar im Zusammenhang mit Ethereum-Transaktionen an. Dabei ist diese Entwicklung sozusagen ein hausgemachtes Problem. Die zu diesem Zeitpunkt hohen Transaktionsentgelte können sich „kleinere“ Investoren schlicht und ergreifend nicht leisten. Krypto-Whale, also kapitalstarke Investoren, öffnen solche Entwicklungen der Gebühren Tür und Tor.
Grosser Einfluss Einzelner birgt auch und gerade Kursrisiken
Die Tatsache, dass Tausende Projekte auf Nakamotos Spuren wandeln, Probleme der weltweit ersten Kryptowährung beheben und neue technologische Konzepte verfolgen, hilft der Branche vorerst wenig. Ein weiteres Beispiel von vielen für zunehmende Parallelen zum traditionellen Finanzsystem sind neue Währungen wie Shiba Inu, die faktisch nur einen geringen oder gar keinen erkennbaren Nutzen haben. Der genannte mausert sich seit Monaten zum Überflieger der Branche und brachte gerade Grossanlegern astronomische Gewinne ein. Zuletzt löste eine Wallet mit einem SHIB-Bestand von Billionen Einheiten einen massiven Kurseinbruch aus. Über den Sinn und Zweck des Meme-Coins scheiden sich währenddessen die Geister. Bzw. eigentlich nicht. Denn in der Praxis sucht man den Anwendungsnutzen der Währung bis heute ohne wirklichen Erfolg. Nichtsdestotrotz wird Shiba Inu als das digitale Asset gehandelt, das ganz weit oben auf der Liste der Gewinner der bisherigen Krypto-Historie steht. Die Dominanz der Krypto-Wale jedenfalls wurde hier so deutlich wie selten.
Das Kursdiktat durch die Grossen am Markt birgt nicht zuletzt das Risiko von Kursmanipulationen. Was für SHIB gilt, lässt sich indes auf eine Vielzahl vor allem kleinerer Coins und Token übertragen. Hier wie dort profitieren zwar auch Anleger mit geringerem Investitionsbudget. Wer das grosse Geld macht, liegt aber auf der Hand. Die Profiteure sind in erster Linie anonyme Schwergewichte des Kryptomarktes.
Droht NFTs ein vergleichbares Schicksal?
Eine ähnliche Entwicklung dürfte sich durch den Einstieg grosser Konzerne wie eBay immer stärker auch im Bereich der non-fungiblen Token (NFT) abzeichnen. Vom Bitcoin ganz zu schweigen. Fragt man Experten nach ihrer Einschätzung zur Verteilung der Marktanteile, fällt das Urteil vielfach eindeutig aus. dYdX-Gründer Anthony Juliano etwa stellte als einer von vielen Branchenkennern kürzlich die These auf, dass der Löwenanteil des Krypto-Bestandes und Handelsvolumens auf das Konto von höchstens 50, vielleicht sogar nur etwa zwei Dutzend Unternehmen gehen könnte. Der Chef der DeFi-Börse zieht deshalb eine klare Parallele zu Produkten wie riesigen Fonds, die an Börsen wie der Wall Street gehandelt werden.
Im Falle des erwähnten Dogecoin sah die Entwicklung sehr ähnlich wie bei Shiba Inu aus. Mit der Folge, dass Branchenmedien im Frühjahr 2021 von einer Wallet berichten konnten, die mit einem Volumen von umgerechnet 22 Milliarden US-Dollar fast ein Drittel der Gesamtmarktkapitalisierung des Dogecoin-Netzwerks hielt. Elon Musk reagierte damals auf die Entwicklung, indem er seinen Einstieg in die Währung für den Fall ankündigte, dass grosse Inhaber ihre Dogecoin-Reserven zu einem erheblichen Anteil veräussern.
Unterschiedliche Bedeutung von Whalen bei verschiedenen Kryptowährungen?
Auch Informationsdienste gaben in diesem Zusammenhang Statements von sich. Bloomberg-Experte Aaron Brown vertritt eine eindeutige Position. Seiner Auflassung nach spielt die Verteilung vordergründig bei Digitalwährungen eine zentrale Rolle, die lediglich ein Spekulationsobjekt darstellen, ansonsten aber einen „soliden“ ökonomischen Background vermissen lassen. Für gut aufgestellte Krypto-Ökonomien hingegen, so Brown, habe die Besitzverteilung für den Währungswert eine untergeordnete Bedeutung. Unterm Strich gilt es solche Aussagen zum einen auf den Prüfstand zu stellen. Auf der anderen Seite ist und bleibt der enorme Einfluss einiger Weniger für viele überzeugte Kryptonutzer ein Ärgernis. Denn sie hatten sich genau deshalb für Kryptowährungen entschieden, weil die Technologie eine Verlagerung zu gemeinschaftlicher Entscheidungsgewalt in Aussicht stellte. Dass viele digitale Währungen nun schrittweise nicht nur im Mainstream ankommen, sondern sogar dessen Muster übernehmen, ist dabei für viele Nutzer alles andere als zufriedenstellend.
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